Buchen

Frauen im Licht - Schritt 6

Brunnen der Armen

Dieser Brunnen mit drei Becken wurde 1982 von einem ortsansässigen Künstler, Serge Albasini, geschaffen. Zwei Figuren zieren diesen Brunnen, eine Frau und ein Mann, die Helden einer lokalen Legende, die der Künstler ehren wollte.

Die Legende aus der Website : Notrehistoire.ch - die zwei armen

Vor langer Zeit erlebte Vercorin einen heißen Sommer. Schon im Morgengrauen stieg die Sonne wie ein Feuerball in den Himmel und entzündete die Atmosphäre. Um der sengenden Hitze zu entgehen, gingen die Dorfbewohner beim ersten Tageslicht auf ihre Felder. Wenn sie zur Angeluszeit wieder zu Hause waren, schlossen sie Türen, Fenster und Fensterläden und verbarrikadierten sich wie Belagerte. Aber die Hitze kroch an den Wänden entlang, drang in die Küchen und in die Schlafzimmer ein und drang überall ein.

Es war heiß, wie wenn man die Tür eines Ofens öffnet. Das Thermometer an einem Balken im Schulhaus stieg unaufhörlich: 32 Grad an einem Tag, 34 Grad am nächsten Tag, 36 Grad am übernächsten.

Die Nächte boten keine Erleichterung und die Bewohner schliefen schlecht und schweißnass.
Es gab nicht einmal mehr einen Lufthauch. Alles war in glühender Unbeweglichkeit erstarrt.

Zunächst machte man sich keine Sorgen. Die heißen, trockenen und kargen Sommer im Mittelwallis waren nichts Neues, man war daran gewöhnt. Irgendwann würden regenschwangere Wolken vom Horizont aufziehen. Blitze würden durch sie hindurchfahren. Der Donner würde grollen und sein Krachen würde in langen Echos durch das Tal rollen. Dann würde das Wasser, das in den Träumen spukte, wie ein lang ersehnter Segen vom Himmel fallen und alles Leid vergessen lassen. Und das Leben würde wieder beginnen.

Am Waldrand sank jedoch der Wasserstand der Suone. Aus dem Hals des Brunnens in der Mitte des Dorfes kam nur noch ein klägliches Gurgeln und auf den schattigen Böschungen verblassten die malvenfarbenen Weidenröschen. An den Fassaden waren die Rosen, die einst schön wie Prinzessinnen mit zartem Duft gewesen waren, nur noch armselige, verkrüppelte Dinger, die einen traurigen Anblick boten. Manchmal knospten am Nachmittag Cumuluswolken über den Bergen auf der Gemmi-Seite. Sie entfalteten sich in riesigen, wattigen Schwaden im strahlenden Azurblau. Doch nach ein paar Stunden verdunsteten sie und mit ihnen jedes Versprechen auf Regen.

Das Wasser wurde rationiert. Die Frauen verzichteten darauf, die Kinder in dem Holzzuber zu waschen, den sie in der Mitte der Küche aufgestellt hatten. Sie kamen nicht mehr zum überdachten Brunnen in der Mitte des Dorfes, um die Wäsche zu waschen, indem sie sie zusammenknoteten und auf ihre Waschbretter schlugen. Ihr Geplapper und ihr Lachen verstummten. Eine große Stille breitete sich aus.

Der Himmel blieb blau, ein immer intensiveres Blau, das so glitzernd war, dass es schon beim Hinsehen weh tat.

Die junge Frau streckte eine Hand aus und deutete auf eine Fläche vor ihr.

- Damals befanden sich oberhalb der Kirche, anstelle der vielen Chalets, terrassenförmig angelegte Felder. Dort wurden Hafer, Roggen, Gerste, Hanf, Flachs und Kartoffeln angebaut. In der prallen Sonne und ohne Wasser litten die Feldfrüchte.

- So eine Dürre hat es noch nie gegeben! sagten sich die Einwohner, wenn sie sich frühmorgens in den Gassen trafen oder sich abends auf der Türschwelle begrüßten.

- Das Gras auf den Wiesen ist rot!

- Die Erde ist so durstig, dass sie voller Risse ist.

- Alles wird geröstet. Wir werden alles verlieren.

- Was wird aus uns werden? Geht die Welt unter oder was?

Eines Abends jedoch quollen Wolken über die Berner Alpen und verdunkelten den gesamten Himmel. Sturmböen schüttelten die Wedel der uralten Linden in der Nähe des Schlosses.

- Das war's! Es muss heute Nacht sein, wiederholten wir in einem Anflug von Hoffnung.

In der Abenddämmerung glühten die Lichter in der Ferne im Zickzack. Doch diese Feuerwerke waren nur Hitzeblitze und die Krämpfe des Gewitters eine nervöse Schwangerschaft. Nachdem sich das Wolkengewimmel verzogen hatte, funkelten die Sterne noch weißer und grausamer.

- Meine Brüder, es ist Zeit für göttliche Bitten", sagte der Pfarrer von der Kanzel. Am nächsten Sonntag werden wir eine Prozession zum Kreuz des Dritten machen, um den Herrn zu bitten, uns Regen zu schenken. Vertrauen Sie darauf! Der Himmel wird unseren Gebeten nicht taub gegenüberstehen.

Am Sonntag marschierten die Gläubigen, deren Gesichter unter ihren schwarzen Filzhüten oder seidenen Kopftüchern verkocht waren, mit dem Banner des heiligen Bonifatius an der Spitze über den pulverigen Weg, und das Summen ihrer Gebete vermischte sich mit dem Knistern der Insekten in den Böschungen.

Kurz nachdem die Gemeindemitglieder nach Hause gegangen waren, drängte eine dunkle Woge aus schweren Wolken an den Himmel. Der Wind kam wütend auf. Es gab Donnerschläge, die wie Kanonenschüsse klangen. Die Wolken schlugen gegen die Gipfel des Val d'Anniviers und brachen über Chandolin in einem langen Schauervorhang auf. Aber kein Tropfen auf Vercorin!

Die Brunnen im Dorf verstummten einer nach dem anderen. Die Suone am Waldrand war ausgetrocknet. Die Blätter der Linden, die wie Wächter an der Vorder- und Rückseite des Schlosses standen, hingen verwelkt und kläglich herunter. In den Gärten war das Gemüse verloren gegangen. Die Kinder trieben die Ziegen noch auf die Wiesen, aber da sie dort keine Weide fanden, blökten sie so erbärmlich, dass es einem leid tat. Krähenschwärme kreisten in der überhitzten Luft und krächzten ihr schwarzes Krächzen über den Dächern. Die Bewohner wurden immer magerer. Am Abend hörte man die kleinen Kinder lange weinen, bevor sie einschliefen.

Am nächsten Sonntag sprach der Pfarrer von der Kanzel aus erneut über die Situation:

- Dieses Elend, das uns widerfährt, Brüder und Schwestern, ist ein Zeichen: Es gibt zu viele Sünden in Vercorin! An den Sonntagnachmittagen steigt die Jugend nach Les Voualans hinab, um zu den Klängen des Akkordeons, dieses teuflischen Instruments, zu tanzen. Wissen sie nicht, die Unglücklichen, dass der Tanz geradewegs zur Libertinage führt und die Libertinage zur Verdammnis? Außerdem lassen einige hier auf der Empore während des Gottesdienstes Flaschen herumgehen. Und das ist kein Weihwasser! Diese durstigen Trinker halten das Haus des Herrn für einen Ort der Verkostung. Und ihr, die Säulen im hinteren Teil der Kirche - der Pfarrer schwenkte einen drohenden Zeigefinger - schwadroniert während des ganzen Gottesdienstes, als würdet ihr auf dem Dorfplatz stehen und die neuesten Nachrichten des Ausrufers kommentieren.

Der Pfarrer schwieg und wischte sich mit seinem Taschentuch über die Stirn, dann fügte er kopfschüttelnd hinzu:

- Kaum zu glauben, dass ich hinten an der Wand ein breites Schild anbringen musste: "Dieser Ort ist ein Ort des Gebets. Ruhe!"

Er ließ seinen strengen Blick über die Anwesenden schweifen und erhöhte die Lautstärke seiner Stentorstimme:

- Am Abend kommen die Jungen in die Kirche, um den Rosenkranz zu beten. Aber anstatt ihre Augen auf die Statue Unserer Lieben Frau zu richten, schielen sie nach den Mädchen und, ohne das Ende des Gebets abzuwarten, drängen sie sich, um sie nach Hause zu bringen. Aber viel schlimmer ist, dass es bei uns starke Geister gibt, die glauben, sie seien stärker als der Heilige Geist, Ungläubige, die am Sonntag im Café Pappe klopfen, anstatt die heilige Messe zu besuchen.

Die rechte Hand zum Gewölbe erhoben, schloss er auf einer hohen Note, mit Savonarola-Anklängen, die seine Zuhörer beeindruckten:

- Meine Brüder, die göttliche Barmherzigkeit ist nicht unerschöpflich! Die Geduld Gottes hat ihre Grenzen!

Es war heiß wie ein Feuer. Da das Feuer des Himmels nicht nachließ, erschütterten die Worte des Pfarrers schließlich auch die Widerspenstigsten. Diejenigen, die das Bistro zu ihrer Kapelle gemacht hatten, machten sich wieder auf den Weg in die Kirche. Die Weinflaschen auf der Empore verschwanden. Es gab kein Akkordeon und keinen Ball mehr in Voualans, und die Jugendlichen verließen die Kirche. Die Inbrunst wurde einstimmig. Aber der Regen blieb aus.

Im Dorf lebte ein Ehepaar um die fünfzig, das keine Kinder hatte. Sie waren einfache, arme Leute, wie es die Bauern hier waren. Ihr einziger Reichtum war ihr Glaube, ein kompakter, fester Glaube wie der Stein dieses Brunnens.

Eines Mittags, der Angelus hatte gerade geläutet, klopfte es an ihrer Tür. Élise verließ den Tisch, an dem sie mit ihrem Mann Cyprien gesessen hatte, und öffnete. Eine Nachbarin reichte ihr in Panik ihr jüngstes Kind.

- Sehen Sie es sich an! Er wacht nicht mehr auf. Er atmet kaum noch. Er wird sterben!

Élise beugte sich über das kleine, abgemagerte Gesicht.

- Es geht ihm gar nicht gut", rief sie aus und war bis ins Mark erschüttert.

- Wir werden dir Milch geben", sagte Cyprien. Und auch Käse und Kartoffeln!

Und er ging sofort in den Keller.

Nachdem die junge Mutter gegangen war, flüsterte Elise:

- Wir müssen etwas tun!

- Natürlich, aber was können wir noch tun?", antwortete Cyprien.

Von da an waren sie nicht mehr zu sehen. Jemand hatte am Tag ihres Verschwindens ein Paar gesehen, das zum Grat zwischen Brentaz und dem Orzival-Felsen hinaufkletterte. Aber seitdem war nichts mehr zu sehen.

Am nächsten Tag bedeckte sich der Himmel schon am frühen Morgen. Die Blätter der Linden in der Nähe des Schlosses zitterten und der Regen begann zu fallen, ein sanfter, großzügiger, gleichmäßiger Regen. Bei den ersten Tropfen stürzten sich die Einwohner auf die Straßen, boten ihre Gesichter dem sehnlichst erwarteten Wasser an, hoben die Arme, tanzten und jubelten.

Drei Tage lang rann der Regen ununterbrochen durch die Gassen des Dorfes und ließ seine Musik auf den Dächern erklingen. Das Wasser plauderte wieder in den Brunnen. Es sang wieder in der Suone am Waldrand und brachte das Leben zurück auf die ausgetrockneten Terrassen und die geröteten Wiesen.

Die junge Frau schwieg einige Augenblicke und fuhr dann fort:

- Wenn Sie in Richtung Orzival wandern, sehen Sie auf dem Grat über der Rouja-Alm zwei Felsen in Menschengestalt, die einander gegenüberstehen. Es sind Elise und Cyprien, die zu Stein geworden sind. Man nennt sie die beiden Armen.

Femmes en lumière - étape 6